Virtuelle Objektschau
Beim Anblick einiger Objekte in musealen Sammlungen ist diese Frage durchaus verständlich und wird auch oft gestellt. Geflickt, verdrahtet, repariert – schön ist nicht alles, was da in den teuren Regalen aufbewahrt wird. Warum werden sie also nicht entsorgt?
Der Platz in den Depots und Magazinen, der die konservatorischen Voraussetzungen erfüllt, um Objekte dort viele Jahre zu lagern, ohne dass sie Schaden nehmen, wird immer knapper. Auch die finanziellen Mittel zum Unterhalt von Museumssammlungen ist eine knappe Ressource. Museale Sammlungen aber wachsen. Daher ist es zwangsläufig notwendig, sich immer wieder neu mit der Frage zu befassen, warum welche Objekte ihren Platz in der Sammlung rechtfertigen können und auf den Konzept-bezogenen Aussagewert der Objekte zu schauen. Bei allem sind verschiedenste Forschungsfragen zu berücksichtigen, historische Entwicklungen in die Überlegungen einzubeziehen und Möglichkeiten für zukünftige Aktivitäten zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund zeigt die Ausstellung Objekte, die Narben tragen. Es sind gerade diese Narben, die über die Geschichte ihres Lebens und damit über die Geschichte der Region und der Menschen berichten.
"Kann das weg?" wurde als Kabinettausstellung im kult geplant. Sie ist vom 21. Mai bis 10. Oktober vor Ort in Vreden zu sehen.
Die Dinge sind verbogen, verrostet, eingerissen oder es sind überhaupt nur noch Bruchstücke. Aber Beschädigungen haben eine Ursache: Sie sind Zeugen für die individuellen Schicksale der Gegenstände.
Kriegszerstörungen wie bei dem Leuchter aus der Vredener Pfarrkirche sind mahnende Zeugnisse historischer Katastrophen. Beim musealen Umgang muss gut überlegt werden, ob hier eine Restaurierung Sinn ergibt. In diesem Fall würde damit das Kriegsereignis – und damit ein wichtiger Teil der Lebensgeschichte des Objektes – ausradiert. Hier ist die Aussage wertvoller als der kunsthistorische oder materielle Wert des Gegenstandes.
Fragmente aus Keramik oder Leder werden als Grabungsfunde für die Forschung geborgen. Sie können als Grundlage dienen für Ergänzungen oder Rekonstruktionen und ein realitätsnahes Bild der Vergangenheit vermitteln, unabhängig davon, dass sie auf den ersten Blick „nur Scherben“ sind.
Gegenstände des Alltags mit starken Gebrauchsspuren sind Belege einer langen und intensiven Nutzung, also einer hohen Wertigkeit für die Benutzerinnen und Benutzern. Diese Nutzungsgeschichte gibt Einblicke in das Leben und die sozialen und ökonomischen Hintergründe der früheren Verwendung. Die individuelle Geschichte ist der eigentliche museale Wert für die Sammlung.
Ja, absolut! Denn diese Objekte stehen als Beispiele für eine Mode, eine technische Entwicklungsstufe oder galten ihren Besitzern als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dadurch zeichnen sie ein Bild vom Leben in der jeweiligen Region, von Einflüssen durch verschiedene Medien oder persönliche Kontakte.
Manchen Menschen galten die Dinge, ob selbst hergestellt oder erworben, als Ausdruck von Individualität. Gleichzeitig bildeten sie eine Art Uniform einer Bewegung, eines „Lifestyles“ oder allgemein einer Zeit. Welche Wege der Zeitgeist nahm und, ob er regional eher früh oder mit Verzögerung beginnt, belegen neben Schrift- oder Tonzeugnissen natürlich auch originale Objekte in den Museums-Magazinen.
Nur weil ein Objekt also nicht einzigartig ist, kann es trotzdem einen hohen Aussagewert haben: Dass z. B. ein bedeutendes Kunstwerk wie das Gnadenbild unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe (Kreta, 14. Jahrhundert; heute Kirche S. Alfonso in Rom) in tausendfacher Kopie und in zahlreichen Abwandlungen europaweit Verbreitung fand, zeigen die zahlreichen Exemplare in vielen Museumsdepots.
Eine Kaffeekanne ist und bleibt eine Kaffeekanne. Sie gehört zum Programm einer gepflegten Geschirrserie, obwohl sie inzwischen in den meisten Haushalten im täglichen Gebrauch von einer praktischen und weniger empfindlichen Thermoskanne abgelöst wurde. Aber noch heute werden hohe Preise für hochwertige Porzellankannen bestimmter Hersteller gezahlt.
Und so können auch scheinbar alltägliche und bis heute kaum weiterentwickelte Objekte für Museumssammlungen sehr spannend sein: Wie hoch der Wert materiellen Besitzes für die Eigentümerinnen und Eigentümer der ausgestellten Objekte war, zeigt sich deutlich am Umgang mit den aus heutiger Sicht unbrauchbaren Gegenständen. Die Kaffeekanne wurde mit aufwändigen Zinnmonturen und die Gugelhupf-Form mit einem Drahtnetz versehen. Professionelle Reparaturarbeiten erhielten die Dinge noch über Jahre gebrauchsfähig. Heute wäre der Arbeitslohn wesentlich höher, als der Preis für den Erwerb eines neuen Gegenstandes.
Neben der historischen Komponente geben diese Stücke, deren Formen und Funktionen sich bis in die Gegenwart nicht geändert haben, einen Anstoß zum Umgang mit unseren Ressourcen. Das Stichwort lautet Nachhaltigkeit.
Wir alle kennen „Marke Eigenbau“, nur werden heutzutage die meisten Teile im Baumarkt gekauft und die Bauanleitung stammt aus dem Internet. Do it yourself ist Hobby oder Weltanschauung. In reichen Industriestaaten dient diese Herstellungsart eher selten der Bedarfsdeckung.
Die präsentierten Gegenstände aus der musealen Sammlung dagegen sind selbstgefertigte Gebrauchsgegenstände aus vorhandenem Material, die der täglichen Nutzung dienten. Sie geben gerade durch ihre nicht perfekte Aufmachung einen Eindruck von den materiellen Möglichkeiten ihres Entstehungsumfeldes, aber auch von dem Einfallsreichtum, der Kreativität und des Improvisationstalents der Menschen, die sie geschaffen haben.
All das, was Sie hier sehen, kann also keinesfalls weg! Gerade durch ihre scheinbare Seltsamkeit sind sie erhaltungswürdig und spannende Zeugnisse der Vergangenheit.
Mit dem Format der "Kabinettausstellung" präsentiert das kult jährlich im Sommer Objekte aus der eigenen musealen Sammlung unter unterschiedlichen Fragestellungen. Die Kabinette dienen so als Schaufenster in die musealen Magazine, in denen rund 20.000 Objekte verwahrt werden.
Neben Dauerausstellung, wechselnden Sonderausstellungen und musealem Schaudepot im Armenhaus bilden die Kabinettausstellungen somit eine zusätzliche Säule der Ausstellungstätigkeiten im kult.